Mittwoch, 7. April 2010

What the #$*! Do We Believe!?

Wahrscheinlich ist es nicht für jedermann leicht zu erkennen, worauf diese Überschrift anspielt: „What the #$*! Do We (K)now!?“, einen der un-aussprechlichsten Filmtitel aller Zeiten. Er gehört zu einem Film, der in mir den Eindruck erweckte, dass wohl jeder, der ihn sieht, eine eindeutige Meinung darüber bekommen wird. Allerdings nicht jeder die gleiche.
Schließlich geht es darin um äußerst brisante Themen, wobei die Interpretation der Quantenmechanik eine immer wiederkehrende Hauptrolle spielt. Für mich war die alleinige Erwähnung des Begriffs „Wissen“ schon eine Herausforderung, mir Gedanken darüber zu machen, was die Filmemacher wohl glauben. Da der Film aus einer Unzahl von Versatzstücken besteht, die man alle einzeln betrachten könnte, um sie zu analysieren, möchte ich ein längeres und vermutlich besonders markantes, in sich abgeschlossenes Stückchen herausgreifen. Folgende Erzählung, im Film mit nachgestellten und spezialeffekte-aufgepeppten Aufnahmen illustriert:

„Hier ist eine, meiner Ansicht nach wahre, Geschichte über die Eingeborenen der Karibischen Inseln: Als sie die Schiffe von Kolumbus heransegeln sahen, sie konnten sie nicht sehen, weil sie so etwas noch nie gesehen hatten. Sie konnten sie einfach nicht sehen.
Als Kolumbus an Madras (bei diesem Wort bin ich mir auch nach mehrfachen Anhören nicht sicher, ob ich es hier richtig wiedergebe) in der Karibik landete, war keiner der Eingeborenen in der Lage, die Schiffe zu sehen, obwohl sie auf dem Horizont existierten. Der Grund, warum sie die Schiffe nicht sahen, war, dass sie im Gehirn kein Wissen, keine Erfahrung hatten, dass Klipper existierten.
Der Schamane bemerkte Wellen draußen im Meer. Aber er sah kein Schiff. Er begann, sich Gedanken zu machen, was den Effekt verursachte. Er ging jeden Tag raus und schaute. Nach einer Weile konnte er die Schiffe sehen. Nachdem er die Schiffe sehen konnte, erzählte er allen, dass da draußen Schiffe existierten. Und weil ihm alle vertrauten und glaubten, sahen sie sie dann auch.“


Jetzt ist die Frage: Glauben wir, vertrauen wir dieser Geschichte? Zunächst sollte das für jeden offen bleiben. Die Filmemacher scheinen das Ganze jedenfalls zu akzeptieren, denn zu einer irgendwie gearteten kritischen Äußerung kommt es von ihrer Seite nicht. Vom Leser meiner Zeilen und vom Betrachter dieses Filmes kann ich es allerdings nicht wissen. Glaubt er es oder glaubt er es nicht? Und wie steht es mit mir? Ich frage mich: Muss ich mich denn hier zwischen Glauben und Nichtglauben entscheiden? Oder liefert mir die Geschichte genug Material, um zu überprüfen, ob sie wahr ist? So dass mir die Entscheidung aus der Hand genommen wird, ich sie entweder glauben muß, oder nicht glauben kann.
Zunächst einmal: Könnte die Geschichte wahr sein? Das ist so ähnlich wie die Frage, könnte der Weihnachtsmann existieren? Klar könnte er. Mit leichten Einschränkungen. Sollte der Weihnachtsmann existieren, so müssten eine ganze Reihe von bisher als anerkannt geltenden Fakten als falsch eingestuft werden. Nicht zuletzt, dass Rentiere nicht fliegen können. Das wäre akzeptabel. Denn vielleicht können sie ja fliegen und sind nur in Gegenwart von Zuschauern zu schüchtern dazu. Ich behaupte nur: Wenn jemand an den Weihnachtsmann glaubt, und gleichzeitig nicht glaubt, dass Huftiere zu nichtballistischen Bewegungen aus eigener Kraft im freien Luftraum fähig sind, dann stimmt etwas mit seiner Weltanschauung nicht. Wer an den Weihnachtsmann glauben will, muss sich erstmal fragen: Bin ich bereit, meine Vorstellung der Rentiermobilität diesem Glauben anzupassen? Er täte es besser, denn sonst ergibt sich ein Widerspruch, und etwas zu glauben, das sich widerspricht...nun, damit läge man wohl falsch.
Wer diese Geschichte glaubt, muss bereit sein, alle ihrer Voraussetzungen zu glauben. Und jeden Widerspruch vermeiden, indem er diese akzeptiert. Und ich rede nicht von Widersprüchen wie „Als sie die Schiffe von Kolumbus heransegeln sahen, sie konnten sie nicht sehen...“ (Häh...?!), das sind nur Stilblüten. Legen wir mal los:
Als erstes fiel mir auf, dass auf mysteriöse Weise ein Schamane seinen Weg auf die Insel gefunden hatte. Wie denn das? Die Story beruht geradezu auf der Grundlage, dass die Inselbewohner nie zuvor Kontakt mit Europäern hatten, auch wenn das nicht explizit erwähnt wird. Denn wie sonst, als mit Schiffen größerer Bauart wären diese wohl dort angekommen? Schamanismus entspringt dem nordeurasischen Kulturkreis, nicht der Karibik. Ist das nur eine kleine Fehlformulierung? Sogar ich wäre geneigt, es als solche durchgehen zu lassen. Aber näher betrachtet ist dies die Entsprechung dazu, einen katholischen Priester „Rabbi“ zu nennen, und den Papst „Ayatollah“; dies würden die meisten Menschen selbst in einer beiläufigen Erwähnung doch als ordentlichen Fauxpas empfinden. Zumindest wirft dieser kleine Fehler schon mal die Frage auf: Wie gründlich wurde hier denn wohl recherchiert, bevor diese Geschichte das Gütesiegel des Tatsachenberichtes verabreicht bekam? Wie glaubwürdig erschiene der seriöseste Nachrichtensprecher, wenn er die neueste Meldung über Ayatollah Benedict XVI vorträgt?
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, dass für diese Geschichte nicht der geringste Beleg angeführt wird. Überlegen wir uns doch mal, wie diese Erzählung zustande gekommen sein muß, sollte sie wahr sein: Kolumbus liegt vor Anker; ein Eingeborener bemerkt nach einigen Tagen die Schiffe, aber eben erst nach einigen Tagen. Wenn nicht entweder der Eingeborene erfährt, dass die Schiffe bereits da waren, bevor er sie sah, oder Kolumbus mitgeteilt bekommt, dass seine Schiffe erst lange nach ihrem Erscheinen wahrgenommen wurden, haben wir keine Geschichte. Wie soll einer von beiden den jeweiligen ergänzenden Umstand erfahren haben? Auch hier ist wichtig: Basis der ganzen Erzählung ist, dass zwei Kulturen aufeinander trafen, die vorher keinerlei Kontakt hatten. Sollen diese Kulturen es geschafft haben, innerhalb weniger Tage, von mir aus sogar einiger Wochen, solange die Details aller Ereignisse noch frisch im Gedächtnis der Beteiligten sind, zu lernen, so exakt und genau miteinander zu kommunizieren, dass eine zuverlässige Basis für eine solche Überlieferung besteht?
Kommen wir also zum Horizont. Kolumbus landete, aber seine Schiffe waren am Horizont, von der Insel aus gesehen? Das erscheint mir als eine sehr eigenwillige Interpretation des Begriffs „landete“. Aber, ich gestehe es zu, das mag nicht mehr als eine weitere unglückliche Formulierung sein. Kolumbus wartete anscheinend tagelang in Sichtweite der Insel in Ruhe ab, nachdem er und seine Mannschaft wohl wochenlang auf See unterwegs waren. Kein Landgang, kein Frischwasserreserven auffüllen, keine Suche nach frischem Obst oder einem leckeren Braten. Durchaus möglich. Aber wenn Kolumbus, der ja einen Ruf als Entdeckernatur zu verteidigen hat, hier gemütlich abwartete, dann möchte ich wirklich wissen, warum? Ohne eine Erklärung dafür ist diese Geschichte zumindest so unvollständig, dass man sich fragen muss, welche Details da wohl noch untergegangen sind.
Und noch etwas zum Horizont: Wenn die Schiffe so weit von der Insel entfernt waren, dann muss der „Schamane“ schon verdammt gute Augen gehabt haben, um die von ihnen verursachten Wellen zu erblicken. Getrost kann man sagen: bessere Augen, als je irgendein Mensch sie nachweisen konnte. Selbst bei hohem Wellengang sieht der Horizont wie eine absolut gerade Linie aus. Und überhaupt: Wieso sollten ihm Wellen auf dem Meer so sehr auffallen, dass sie ihn tagelang beschäftigen? Wellen auf dem Meer sind nun wahrlich kein so ausgefallenes Phänomen. Oder will uns hier jemand weiß machen, dass die Eingeborenen bis zu diesem Augenblick aus irgendeinem anderen Grund nicht in der Lage waren, Wellen wahrzunehmen?
Und wenn man einen Klipper nicht sehen kann, weil man noch nie vorher einen Klipper gesehen hat, wäre es da nicht auch sinnvoll, anzunehmen, dass man die Wellen, die ein Klipper hervorruft, nicht sehen kann, wenn man noch nie vorher Wellen sah, die ein Klipper hervorgerufen hat? Nach welchen Regeln funktioniert das, was gesehen werden kann und was nicht?
Ist dieser behauptete Effekt eigentlich in sich schlüssig? Wenn wir davon ausgehen, dass er es ist, dann dürfte doch kein Mensch jemals irgendetwas sehen. Denn alles, was man sieht, sieht man ja irgendwann das erste Mal. Oder ist hier gemeint, dass das nur für Dinge gilt, die in ihrer Art völlig ungewohnt sind? Aber wo ist da die Grenze zu sehen? In der Regel ist eine schlichte Veränderung der Größe nichts, was eine wirkliche Neuartigkeit ausmacht. Kannten die Eingeborenen überhaupt keine Schiffe und Boote? Würde ein Fußball mit einem Durchmesser von 10 Metern für einen Bundesligafan unsichtbar? Und wie ist es hiermit: Schiffe bestanden damals aus Holzbalken. Selbst wenn jemand noch kein Schiff gesehen hat, müsste er dann nicht die einzelnen Balken sehen? Und wenn ein Matrose über die Reeling blickt, das Schiff aber nicht wahrgenommen werden kann, würde man dann nicht den frei schwebenden Oberkörper des Mannes sehen, was an sich schon ein recht auffälliger Anblick sein sollte? Wenn eine Möwe von links hinter dem Schiff vorbeifliegt, wird sie dann für den Betrachter unsichtbar, bis sie rechts davon wieder auftaucht? Entweder verschwindet sie währenddessen (wieder nicht besonders unauffällig), oder sie bleibt weiterhin sichtbar. Letzteres würde aber bedeuten, dass nicht nur das Schiff nicht wahrgenommen wird, sondern dass in der Tat ein Eingeborener durch es hindurch sehen können müsste!
Eigentlich sollte man für all diese Fragen eine Erklärung auf Lager haben, die man gewillt ist, ebenso zu glauben, wenn man die Geschichte für wahr hält. Das sind alles fliegende Rentiere dieser Erzählung. Und nur die offensichtlichsten, die mir in wenigen Minuten eingefallen sind. Meine schweren Geschütze kommen erst noch.
Denn ich frage mich auch: Wenn ein Gehirn nicht in der Lage ist, etwas unbekanntes wahrzunehmen, Bekanntes jedoch schon; wie entscheidet es denn, was bekannt ist und was nicht? Es kann diese Einstufung erst treffen, nachdem eine Wahrnehmung erfolgte. Würde man erst das sehen können, das man zuvor als bekannt identifiziert hat, dann könnte ich die Schrift, die gerade auf dem Bildschirm des Computers erscheint, während ich tippe, nicht sehen. Anders als durch sehen ist sie nicht wahrnehmbar, also wäre mein Gehirn nicht fähig, sie als sichtbar einzustufen, um sie daraufhin in meine Wahrnehmung gelangen zu lassen.
Zudem ist der Gedanke einigermaßen absurd, dass etwas unsichtbar wird, weil es unbekannt ist: Das Gegenteil ist der Fall. Das menschliche Gehirn (und überhaupt das Gehirn eines jeden höher entwickelten Tieres) ist darauf geeicht, auf Unbekanntes besonders heftig zu reagieren. Jahrmillionen der Evolution haben es so eingerichtet: Alles unbekannte ist zunächst mal eine potentielle, und gelegentlich auch reale, Gefahrenquelle. Lebewesen, die Unbekanntes besonders schnell und effizient wahrnehmen, haben einen deutlichen Evolutionsvorteil, so dass sich diese Fähigkeit weit ausbreitete und die dazugehörige Wahrnehmung immer mehr geschärft wurde.
Man stelle sich vor, man besucht zum ersten Mal einen Bekannten zuhause. Mag sein, dass er eine Katze hat, die gerade auf dem Sofa liegt. Man würde sie wahrscheinlich bemerken. Glaubt im Ernst irgendjemand wirklich, dass ihm am gleichen Ort ein Nacktmulch weniger auffallen würde, nur weil er zu den Glücklichen gehört, die noch nie zuvor einen Nacktmulch gesehen haben?
Diese gesamte Sequenz aus „What the #$*! Do We (K)now!?“ widerspricht jeder Alltagserfahrung, sie ist in sich unschlüssig, wirft Berge von ungeklärten Fragen auf, und vom Wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen gibt sie auch keinen Sinn. Warum sollte man sie also glauben?
Die Lösung dieser Frage findet sich auch in dem Anfangs zitierten Text. „Hier ist eine, meiner Ansicht nach wahre, Geschichte über...“. Das ist alles. Darum soll man das glauben: Weil jemand anderes es für wahr hält. Nicht denken, einfach glauben. Kritiklos übernehmen, was jemand anderes einem erzählt. Egal, wie weit es hergeholt ist; egal, wie schlecht es begründet ist; egal, wie konfus und widersprüchlich es sich bei näherer Betrachtung erweist.
Nähere Betrachtung, das bedeutet Skepsis. Skepsis ist nicht, wie die meisten meinen, eine ablehnende Haltung an sich...der Begriff bedeutet nichts als: Etwas gründlich und prüfend betrachten, bevor man sich seine Meinung dazu bildet (der Wortstamm findet sich auch in Begriffen wie Teleskop, Mikroskop, Periskop usw.). Und als Skeptiker plädiere ich auch keineswegs dafür, nichts zu glauben; aber wenn man schon etwas glauben will, dann soll man es doch bitte nicht blind glauben! Je gründlicher man das hinterfragt, was es zu glauben gilt, je mehr und härtere Prüfung es standhält, desto besseren Gewissens und mit begründeterer Überzeugung kann man es glauben.
Anscheinend lässt sich aber so gut wie alles gut glauben, wenn man das skeptische Denken unterlässt und es glauben möchte. Was mag die Motivation sein, dieser Geschichte Glauben zu schenken und sie weiter zu verbreiten? Das kann ich nicht definitiv wissen, da ich nicht in die Köpfe anderer Menschen blicken und ihre Gedanken lesen kann. Und im Übrigen es auch nicht für wahrscheinlich halte, dass irgendjemand dazu in der Lage ist. Nichtsdestotrotz habe ich eine Vorstellung dazu auf Lager.
Die Geschichte handelt in erster Linie von einem Mann, dem „Schamanen“, der durch seine besondere und überwiegend intuitive Erkenntnisfähigkeit Wahrheiten erkennt, von denen seine Mitmenschen nichts ahnen; denen fehlt einfach die Möglichkeit, solches auch nur wahrzunehmen, weil sie sich weigern, einen neuen Gedanken zuzulassen; erst als sie ihm blind vertrauend sich auf seine Sichtweise einlassen, sind sie selbst in der Lage, für sie bisher Unvorstellbares zu akzeptieren.
Kein Wunder, wenn ein Esoteriker so eine Erzählung gerne glaubt und sie gerne wiedergibt: In diesem Bereich gilt es geradezu als Frevel, die Worte eines „inspirierten“ Führers in Frage zu stellen, welcher Dinge erzählt, die völlig weit hergeholt erscheinen und die der Erfahrung widersprechen. Das Ganze ist ein Gleichnis, in dem der Erzähler für den „Schamanen“ steht, und der Zuhörer für die restlichen Inselbewohner, die „noch nicht so weit sind“ selbst in eine Welt jenseits der Alltäglichen zu blicken. Diese Mär vom Meer hat als Moral: Wenn jemand mit Autorität eine Behauptung aufstellt, so glaube sie. Er spricht die Wahrheit. Und so schließt sich dann der Kreis, denn auch diese Geschichte selbst kann man eben nur dann glauben, wenn man ohne zu hinterfragen glaubt, Denn ist nicht gerade ihre Unglaublichkeit der Beleg, dass der Erzähler eine große Autorität sein muss? Denn er hat sich anscheinend so sehr in die Materie vertieft, dass er von Dingen überzeugt sein kann, die weit über den Horizont des Durchschnittsbürgers hinausgehen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen