Samstag, 10. April 2010

Licht, Kraft und Bundesverfassungsgericht

Von "Lebensfreude" kam noch keine Antwort, aber geben wir ihnen noch etwas Zeit. Ich hatte ja viele Fragen. Inzwischen verfasste ich ein weiteres Schreiben an eine Anbieterin esoterischer Verfahren, das weit kürzer und weniger in die Tiefe gehend ist; wobei der Flyer, der mir den Anlaß bot, auch genügend Material für ein ähnlich umfangreiches Werk geliefert hätte: "Licht Kraft Praxis für Gesundheitsförderung". Aber ich beschränkte mich hier auf den Bestandteil, der mir unter all dem dort abgedruckten noch am greifbarsten schien (gibt es irgendwo ein gutes Esoterisch-Deutsch Wörterbuch?). Ich meinen den rechtlich vorgeschriebenen Pflichthinweis im Flyer und auf de dazugehörigen Website:

Frau Meyer!

Als ich auf Ihren Flyer stieß wurde sofort meine Neugier geweckt, und ich würde diesbezüglich gerne einige Fragen an Sie richten. Doch bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich sie auf eine Feststellung hinweisen, die ich zufällig traf. Auf Ihrem Flyer befand sich ein Adressaufkleber, der anscheinend eine ursprünglich gedruckte Adresse bedeckt, kein ungewöhnliches Vorgehen, wenn man umzieht. Aber ist Ihnen bewusst, dass auf Ihrer Website bei den Kontaktmöglichkeiten nach wie vor die alte Adresse und Telefonnummer angegeben ist?
Ich würde Ihnen doch sehr empfehlen, die Website diesbezüglich auf den neuesten Stand zu bringen.
Obwohl es mir natürlich egal sein könnte, ob potentielle Kunden Sie erreichen können, so scheint mir die Weitergabe dieses Hinweises an Sie doch ein Gebot der Höflichkeit. Das heißt...eigentlich ist es mir nicht egal. Genau genommen bin ich sogar sehr dagegen, dass Sie zu Kundschaft gelangen, da ich nicht im allergeringsten an die von Ihnen praktizierten Methoden glaube, und das auch nie verhehlen möchte.
Da ich andererseits aber auch keinen Grund sehe, zu zweifeln, dass Sie diesbezüglich eine feste Überzeugung haben, hoffe ich dennoch, dass Sie mir einige Fragen beantworten können.
Diese beziehen sich insbesondere auf die Rubrik „Pflichthinweis“ Ihrer Website. Mir scheint, dass fast alles, das unter dieser Überschrift zu finden ist, keineswegs Bestandteil eines solchen Pflichthinweises ist. Im Grunde ist es eine Lobrede auf die von Ihnen verwendeten Techniken, wobei der eigentliche Hinweis (dass Sie keinen Arzt ersetzen usw.) fast untergeht. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass durch dieses Vorgehen die Absicht der entsprechenden Vorschriften unterwandert wird und gesetzliche Vorschriften verletzt werden? Die Aussage am Beginn, dass Sie keine Heilversprechen abgeben, könnte einem Leser Ihres Textes glatt entgehen, weil er im Folgenden mit diesen Worten konfrontiert wird: Selbstheilungskraft, Heilung, Heilen, Heilmethoden, Heilkräfte, ganzheitliche Heilung, Heilungsprozess, Heilungsfähigkeit, Wunderheilung...etc; alles bezogen auf Ihre Arbeit; ob die Heilung nun direkt physisch vollzogen wird, oder auf andere Weise: Heilung bleibt Heilung. Und ich kann aus Ihrem Text als ganzes beim besten Willen nicht herauslesen, dass Sie kein Heilversprechen abgeben (es sei denn, man versteht „Versprechen“ in diesem Zusammenhang im Sinne von „100%ige Garantie“, aber wer täte das schon?) Wie stehen Sie zu dieser Betrachtungsweise?
Außerdem fiel mir auf, dass Ihre Texte voller Kritikimmunisierung stecken. Mit anderen Worten, sie verlangen zum Verständnis Ihrer Behauptungen Voraussetzungen, die ein Kritiker per se nicht erfüllen kann. Zum Beispiel ein Verständnis für die Gegenwart Gottes, die ihrerseits unbelegbar ist. Sie behaupten also etwas, das Sie nicht beweisen können, und verlangen als Voraussetzung für ein Gegenargument den Beweis einer ebenso unbeweisbaren Tatsache? Erscheint Ihnen das fair?
Die Wissenschaft, die bei Ihnen eher schlecht abschneidet, hat da ein anderes Vorgehen: Wer etwas behauptet, muss es belegen. Ganz streng genommen geht Wissenschaft sogar so vor: Wenn man etwas glaubt, so hat man selber zunächst die Pflicht, die eigene Hypothese zu prüfen, indem man sie zu widerlegen trachtet. Und sich nicht gemütlich zurückzulehnen, auf seine Meinung zu bestehen und anderen den schwarzen Peter zuzuschieben.
Wir werden uns da wohl nicht einig werden, was die Wahrheit ist und was nicht; aber am Rande dieses Konfliktes steht eine Frage, die mich schon lange beschäftigt, und die ich wirklich gerne loswerden möchte:
Sie halten Phänomene für real, die viele andere nicht wahrnehmen können. Völlig neutral betrachtet, da keine Seite die andere überzeugen kann, bestehen dann zwei Möglichkeiten: Entweder die Wahrnehmung der anderen funktioniert nicht korrekt, oder die Ihrige. Und da Ihnen objektive Belege fehlen (denn dann hätte die „materiell orientierte Wissenschaft“ ja Zugriff darauf), was führt Sie zu der Überzeugung, dass es nicht Ihre Wahrnehmung ist, die Ihnen nicht existierendes vorgaukelt? Ich bekomme immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich dabei ertappe, eine Meinung zu haben ohne vorzeigbare Gründe auf Lager zu haben, und mache mich sofort auf die Suche nach Gründen für und gegen diese Meinung. Vor allem gegen, denn Gründe für ein Vorurteil kommen einem meist geradezu zugeflogen und müssen nicht groß gesucht werden. Haben Sie sich jemals gefragt, ob Sie im Irrtum sein könnten, oder ist Ihre Überzeugung so fest und unverrückbar, dass Sie sich sicher sind, kein Argument, auch keines, das Sie bis jetzt noch gar nicht kennen, könnte Sie umstimmen?
Zum Schluss noch eine Frage, die völlig unabhängig von allem ist, was Sie oder ich glauben: Sie geben an, das Bundesverfassungsgericht hätte das Geistige Heilen unter dem Aktenzeichen 1BvR 784-03 rechtlich anerkannt. (Ich fand es übrigens ungewohnt zuvorkommend, dieses Aktenzeichen anzugeben; es hätte mir vermutlich sonst viel Mühe bereitet, herauszubekommen, welches Urteil gemeint ist) Nach mehrmaligem Lesen dieses Dokuments konnte ich aber keinen Passus ausfindig machen, der Ihre Behauptung stützt. Mir scheint es hier lediglich darum zu gehen, die Frage zu beantworten, ob man dem Geistigen Heilen nachgehen darf, ohne über einen Heilpraktikerschein zu verfügen. Eine Aussage über das Geistige Heilen selbst im Sinne einer Anerkennung sehe ich darin nicht, und ich denke auch nicht, dass es zu den Aufgaben eines deutschen Gerichtes gehört, Heilmethoden anzuerkennen. Vielleicht könnten Sie diese Diskrepanz zwischen Ihrer Aussage und meiner Sichtweise klären, indem Sie mir sagen, als was das Geistige Heilen Ihrer Ansicht nach hier anerkannt wurde, und welche konkreten Formulierungen dies aussagen sollen.

Im übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich dieses Schreiben an Sie als offenen Brief betrachte, und ebenso jede Antwort Ihrerseits als zur Veröffentlichung freigegeben; es sei denn, natürlich, Sie würden dem ausdrücklich widersprechen.

Mit freundlichen Grüßen, Herbert Hartmann

Es gilt wieder: Ich bitte um Zurückhaltung im Urteil, bis eine Antwort kam, bzw ein ausreichend langer Zeitraum verstrichen ist, in dem auf meine Fragen hätte geantwortet werden können.
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