Sonntag, 11. April 2010

Akupunkturpunktmessung

Hier ist ein bekanntes kleines Experiment:
Man bekommt folgende vier Karten vorgelegt, und dazu gesagt: Jede Karte hat auf einer Seite eine Ziffer und auf einer einen Buchstaben. Ich behaupte, wenn auf einer Karte ein Vokal ist, befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite eine gerade Zahl.Nun darf man zwei Karten umdrehen, und soll diese möglichst gut auswählen, um die Behauptung zu überprüfen.
Jeder Leser darf sich nun Gedanken dazu machen, ich berichte erstmal weiter von der Lebensfreude Messe. Ich wurde von einem Herrn an einem kleinen Stand angesprochen. Dort gab es zwei kleine Tische mit je einem Stuhl davor und dahinter, und ein für mich unidentifizierbares technisches Gerät auf jedem Tisch.
Der Mann bot mir an, eine kostenlose Messung des elektrischen Potentials an einem Akupunkturpunkt durchzuführen. Damit soll festzustellen sein, in welchem Gesundheitszustand verschiedene Organe sind, die über Meridiane mit diesem Akupunkturpunkt verbunden sind. Ich stellte mich dumm, und fragte, was ich mir unter einem elektrischen Potential denn vorstellen solle, und bekam erklärt, dass dieses durch den Körper, durch jede einzelne Zelle fließt. Ich fragte, ob das nicht einfach ein elektrischer Impuls ist, also ein Nervensignal. Nein, das wäre etwas anderes. Dann ging es um die Frage: Wenn jede Zelle ein solches Potential hat, und man die Sonde auf der Haut ansetzt, woher weiß man dann, dass man nicht das elektrische Potential der Hautzellen an dieser Stelle misst, statt die Auswirkung irgendwelcher Meridiane (die wissenschaftlich nicht nachgewiesen und, milde ausgedrückt, sehr unwahrscheinlich sind). Die Antwort lautete nur: Man misst nicht auf der Haut, sondern am Akupunkturpunkt.
Mit mehrmaligen Versuchen, zu erklären, dass der Akupunkturpunkt Bestandteil der Haut ist, kam ich nicht weiter; aber immerhin erfuhr ich, dass eine Messung an jedem anderen Punkt der Haut nicht möglich wäre, da ja nicht die Haut gemessen wird, sondern nur der Akupunkturpunkt.
Und das war genau das, worauf ich gewartet hatte: Eine an Ort und Stelle überprüfbare Aussage! Als der Herr mir daraufhin erneut das Angebot einer kostenfreien Messung dieser Art machte, konnte ich sagen: „Okay, ich schlage folgendes vor: Da ich nicht glaube, dass das funktioniert, machen wir jetzt zwei Messungen. Eine an dem von Ihnen genannten Akupunkturpunkt, eine an einer Hautstelle, die ich bestimme.“
Ich paraphrasiere den nun folgenden Dialog:
„Nein, das mache ich nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Das gibt keinen Sinn, da kommt nichts raus.“
„Inwiefern kommt da nichts raus?“
„Da kann man gar nichts messen.“
„Genau darum geht es mir; wenn Ihr Gerät am Akupunkturpunkt etwas misst, woanders nicht, dann zeigt das, dass die Technik funktioniert.“
„Da muss ich nichts messen, ich weiß, dass da nichts passiert.“
„Aber ich weiß das nicht, und sie könnten es mir beweisen.“
„Das ist sinnlos, da was messen zu wollen.“
„Nun, der Sinn wäre, mir genau dies zu demonstrieren. Ich glaube nicht, dass Ihre Methode funktioniert. Aber wenn Sie mir jetzt vorführen, dass Sie ein elektrisches Potential an einem Akupunkturpunkt messen können, und an einer anderen Hautstelle nicht, dann werde ich glauben, dass da was dran ist.“
„Das ist Sinnlos.“
„Der Sinn wäre es, mich zu überzeugen.“
„Ich muss hier nichts vorführen! Gehen Sie zu Ihrem Heilpraktiker, da können Sie das gerne ausprobieren. Es gibt genug Heilpraktiker, die so ein Gerät haben.“
Im Folgenden versuchte ich noch herauszubekommen, mit wem ich eigentlich gesprochen habe, aber auf alle Fragen nach Namen der Firma oder wo sie ansässig sei bekam ich nur ausweichende Antworten, das wäre gar nicht nötig zu wissen, ich solle mich an Hamburger Heilpraktiker wenden.An dem Stand selber war nichts diesbezüglich konkret auszumachen. Es gab ein Logo mit der Buchstabenkombination „EST“, aber nichts eindeutiges, wofür sie steht. Eine Aufschrift „LedMag-1500“, anscheinend das Testgerät, von dessen Kauf oder auch nur seiner Verwendung ich nun nur abraten kann. Und die Technik selber wurde im Gespräch als „Messung nach Dr. Voll“ bezeichnet, aufgrund der beharrlichen Weigerung, sie zu demonstrieren, vermute ich, dass sie etwa so viel taugt wie eine massive Granit-Schwimmweste. Bei vorsichtigster Betrachtung muss man jedenfalls davon ausgehen, dass bis zum Beweis des Gegenteils hier von einem Angebot auszugehen ist, das einem für viel Geld nichts bietet, als einem Sand in die Augen zu streuen.
Und jetzt erkläre ich das Experiment am Beginn dieses Berichtes. Hier sind die Karten inklusive ihrer, darunter abgebildeten, Rückseiten:Viele Menschen entscheiden sich, die erste und die dritte Karte von links umzudrehen. Die Zweite Karte umzudrehen ist offensichtlich sinnlos, man sieht einen Konsonanten, und die zu überprüfende Aussage (eine Karte mit Vokal auf der einen Seite hat auf der anderen Seite eine gerade Zahl) kann sich gar nicht darauf beziehen. Die dritte Karte ist für den Test geeignet, würde man sie umdrehen und eine ungerade Zahl sehen, wäre die Aussage widerlegt, ansonsten hätte man zumindest ein Beispiel für die Gültigkeit. Die Wahl zwischen der ersten und der letzten Karte ist der Knackpunkt, die beiden anderen Karten dienen nur dazu, es nicht allzu durchsichtig zu machen, worum es geht. Mit der ersten Karte lässt sich die Aussage gar nicht überprüfen, denn diese besagt nicht, dass NUR ein Vokal von einer geraden Zahl begleitet werden darf. Sie umzudrehen erhöht meinen Informationsstand diesbezüglich nicht, bestenfalls komme ich zu einem weiteren Beispiel, das sich nach der Regel zu richten scheint. Aber die vierte Karte, die bietet den wahren Test dafür. Darauf ist eine ungerade Zahl, also darf dort eigentlich kein Vokal auf der Rückseite stehen. Und trotzdem entscheiden sich mehr Leute für die erste als für die vierte Karte.
Warum ist das so? Ich vermute, weil Menschen mehr dazu tendieren, Bestätigung als Widerlegung zu suchen. Und weil viele die Vorstellung haben, eine genügend hohe Anzahl von Beispielen belegt eine Regel; dabei ist die Abwesenheit von Gegenbeispielen das viel wichtigere Kriterium. Anscheinend ist das nicht jedem klar, sie denken, dass Ausnahmen wenig besagen, da sie die Regel bestätigen. Falsch. Tun sie nicht. Taten sie nie und werden es nie tun. Und wer, wie ich, diesen alten Spruch schon viel zu oft gehört hat, der sollte sich seine Herkunft vor Augen halten:
Die Ausnahme bestätigt die Regel:
Abgeleitet vom lateinischen exceptio probat regulam in casibus non exceptis („Die Ausnahme bestätigt die Regel in den nicht ausgenommenen Fällen.“). Verwendet in Ciceros Verteidigung Lucius Cernelius Balbus Maiors, in welcher Cicero argumentierte, wenn eine Ausnahme eine Handlung illegal mache, sei diese Handlung in den Fällen, die nicht von der Ausnahme betroffen sind, als gesetzlich zu bewerten.
Jedenfalls führte man mir genau dieses Phänomen auf der Messe vor: Völlige, sogar schon fast aufdringliche, Bereitschaft zum Vorführen eines Beispiels, aber strikte Ablehnung eines wirklichen Tests, der zu einem Gegenbeispiel führen könnte. Ob das in obigem Fall nun daran lag, dass der Messeteilnehmer wirklich keinen Sinn in so einem Versuch erkennen konnte, oder er sehr wohl wusste, was passieren würde, das sei dahingestellt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Besucher einer Esoterikmesse sich offenbar in der Regel mit dem Vorführen von sorgfältig selektierten Beispielen zufrieden geben, statt kritisch zu hinterfragen.

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