Samstag, 30. Oktober 2010

Denkfehler: Die Eulenspiegelei

Ich habe keine Ahnung, ob es eine offizielle Bezeichnung hierfür gibt; ich nenne es den Eulenspiegel-Fehler, weil es etwas mit dem übertrieben wörtlich Nehmen von Aussagen zu tun hat, was ja zu den Standart-Praktiken des alten Till zählte. Man legt Aussagen so eng wie möglich aus, weit enger, als sie jemals gemeint sein können.
Gehen wir von einer Situation aus, in der Regeln existieren. Regeln, wie Gesetze, sind im Allgemeinen so formuliert, dass sie auf eine Vielzahl von Einzelfällen anzuwenden sind, inklusive solcher, die noch nie eingetreten sind, oder die noch nicht einmal erahnt werden können. Das ist auch nötig, denn ansonsten würde die nötige Anzahl von Regeln ins Unermessliche und erstrecht ins völlig Unübersichtliche steigen. Was tut nun ein „Eulenspiegel“? Er kümmert sich nicht um die Regel an sich, kennt sie nicht, kapiert sie nicht oder akzeptiert sie nicht. Wird ihm in einem Einzelfall klar gemacht, was sie hier besagt (meist weil er gerade dagegen verstieß), so gibt er klein bei und schwört, sich nie wieder zu verhalten wie eben; nur um bei nächster Gelegenheit die Regel erneut zu missachten, da angeblich nicht klar war, dass sie auch in diesem, minimal anders gelagerten Fall gilt.
„Ja, Mami, Du hast gesagt, dass ich anderen Kindern nicht gegen das Schienbein treten soll. Hab ich auch nicht getan. Du hast mir nicht verboten, ihnen in die Eier zu treten...!“
Genau so infantil ist das. Was nicht heißt, dass man entsprechendes nicht auch von Erwachsenen zu hören bekommt...ich korrigiere: von Volljährigen. Wer so argumentiert, kann nach keiner sinnvollen Definition als erwachsen gelten, sei er 18, 21, oder 74 Jahre alt.
Und wer so etwas nicht nur sagt, sondern tatsächlich glaubt...da weiß ich nicht weiter. Gibt es so jemanden? Ich kann mir vorstellen, dass das Universum 13,7 Milliarden Jahre alt ist, dass sich die Kontinente unmerklich langsam verschieben, dass es die wahre Liebe gibt; aber so weit reicht meine Phantasie dann doch nicht. Ich denke vielmehr, dass dies auch wieder so ein reines Ausredeargument ist, das von denjenigen, die es verwenden, überhaupt nicht durchdacht wird. Man setzt sich über Regeln hinweg, weil man Lust dazu hat, nicht weil man etwas auf Lager hat, das einen ausreichenden Grund darstellt. Man kennt die Regel, missachtet sie bewusst, und wenn man erwischt wird, benötigt man eine Spitzfindigkeit, eine eigene Auslegung der Regel, die einem selbst das Gefühl gibt, im Recht zu sein, kein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Der Mensch an sich ist nicht gut. Nicht von Natur aus. Warum sollte er auch? Die Natur kennt kein Gut und Böse, nur Erfolg und Misserfolg. Und zum Erfolg zählt ein positives Selbstbild, es bewahrt vor psychischen Belastungen und sorgt für sichereres Auftreten. Es ist nützlich, sich selbst als „einen von den Guten“ zu sehen; und um in den Genuss dieser Einstellung zu kommen, gehen manche den direkten Weg und verhalten sich gut, werden gut. Anderen reicht es aus, so lange an dem Begriff „gut“ herumzudefinieren, bis er maßgeschneidert auf sie zutrifft...zumindest in ihren eigenen Augen. Und dafür sind diese Eulenspiegeleien Mittel zum Zweck: Ich bin gut, weil ich mich an die Regeln halte. An meine Auslegung der Regeln.
All das kann ich nicht belegen; aber mir gibt zu denken, dass ich in meinem Leben schon einer ganzen Reihe von Menschen mit ausgeprägten soziopathischen Zügen begegnet bin (im Volksmund „Arschlöcher“ genannt), aber unter ihnen nie auf einen stieß, der auf mich auch nur annähernd den Eindruck machte, er würde sich nicht für einen von den „Guten“ halten.
Ein ernüchternder Gedanke: Wenn man es nicht merkt, dass man zu diesen Menschen gehört, wie kann sich jemand sicher sein, es nicht zu tun?
Durch Logik: Ich muss nur kühl, sachlich und rational betrachten, was ich tue und wie es zu werten ist. Vor allem eben unabhängig davon, dass ich es bin, der bewertet wird. Ich muss Gedanken, Schlüssen und Zusammenhängen dorthin folgen, wo sie mich hinführen, ohne eine feste Vorstellung, wie das Ergebnis auszusehen hat. Ohne mir vorher ein Ergebnis auszumalen und nur die gedanklichen Schritte zuzulassen, die in diese Richtung gehen.
Ich sagte eben „nur...“; damit wollte ich sagen, es ist nicht schwer, einzusehen, welchen Weg man beschreiten sollte. Ihn zu gehen ist ein ganz schön hartes Stück Arbeit. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, dauert es auch noch ziemlich lang. Ein paar Jahre, ein Leben lang, manchmal reicht auch das nicht aus. Es gibt keine Garantie, ans Ziel zu kommen. Gute Reise!

Sonntag, 17. Oktober 2010

Denkfehler: ad ignorantiam

Sollte es jemals so etwas wie eine top ten der Trugschlüsse geben, ad ignorantiam wäre bestimmt enthalten. Dieser Fehler ist so unglaublich beliebt und auf eine gewisse Weise sogar effizient. Vielleicht, weil er so dämlich und leicht zu durchschauen ist...dass man ihn nicht durchschaut! Kein vernünftiger Mensch käme überhaupt auf die Idee, so zu denken; und wenn er dann mit einer Aussage konfrontiert ist, die darauf beruht, kann es sein, dass er den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht und darauf reinfällt. 10 Minuten später, oder am nächsten Tag, kommt es dann plötzlich hoch: „Da wurde mir doch ein völliger Quatsch erzählt!“
Und dann ist es leider meist auch schon zu spät.
Dieser Denkfehler hat folgende, recht simple, Struktur:
„Ich weiß nicht, dass X nicht Fakt ist; also ist X Fakt.“
Eine Umwandlung von Nichtwissen in Wissen! Eher kann ein Alchemist Blei in Gold verwandeln oder die Wildecker Herzbuben in anorektische Rockmusiker. Dabei ist der Fehler leicht nachzuweisen. Ein Schluss kann in seiner Struktur nur dann korrekt sein, wenn diese Struktur in jedem Fall gültig ist. Sobald man damit widersprüchliche Aussagen konstruieren kann, stimmt etwas nicht. Für oben genanntes „X“ lässt sich genau so gut sagen:
„Ich weiß nicht, dass X Fakt ist, also ist X nicht Fakt.“
Einmal abgesehen davon, dass diese Fehlargumentation sich so großartig zum Bluffen eignet, ist sie wohl auch noch aus einem anderen Grund so beliebt und wird oft angewendet: Es liegt in ihrer Natur, dass sie auf nichts beruht. Daher gibt es keinerlei Bedingungen, die eine Fragestellung erfüllen muss, damit dieses Pseudoargument einsatzfähig wäre; es ist so eine Art schweizer Offiziers-Taschenmesser der Trugschlüsse. Und es gibt auch viele mögliche Motivationen, zu diesem Mittel zu greifen, wobei die Hauptkategorien davon meiner Ansicht nach die folgenden sind:
  • Jemand WILL etwas glauben; es ist ihm nicht wirklich wichtig, ob es wahr ist oder nicht, er benötigt diesen Glauben, um mit seinem Leben oder mit seinem Selbstbild zurechtzukommen. Alleine schon die Möglichkeit, damit das eigene Gewissen zu beruhigen, ist schon verführerisch.
  • Auch wenn jemand nicht selber ernsthaft daran glaubt, dies wäre ein ernstzunehmendes Argument, so mag er doch geneigt sein, es als Ausrede gegenüber anderen einzusetzen. Es ist ja schließlich so universell einsetzbar, immer zur Hand, auf jede Situation übertragbar und benötigt noch nicht einmal ernsthaftes Überlegen, wie man es nun in einem speziellen Fall formulieren muss. Sehr oft habe ich den Eindruck, dass ad ignorantiam geradezu reflexartig von sich gegeben wird (und dummerweise trägt das auch noch sehr dazu bei, dass man damit durchkommt; es findet dann gar kein bewusstes Lügen statt, welches durch dazugehörige nonverbale Signale den Verdacht des Zuhörers wecken könnte).
  • Und, wie jeder andere Trugschluss, so kann auch ad ignorantiam zur bewussten Manipulation eingesetzt werden: Man gibt ihn von sich, ohne im geringsten selber an die Gültigkeit zu glauben. Besonders effizient, wenn der Gedanke nicht für sich alleine steht, sondern genügend Ablenkung von der Schwäche des Arguments vorhanden ist. Am besten, indem man gleich nach der so erfolgten Behauptung so schnell darauf aufbaut, dass der durchschnittliche Zuhörer gar keine Zeit bekommt, darüber nachzudenken. Er muss einer Weiterführung, die inhaltlich völlig korrekt sein kann, folgen, und er bemerkt gar nicht, dass alles auf einer Prämisse basiert, die aber falsch ist. Ganz plötzlich ist er im obersten Stock eines Gedankengebäudes, dem das Erdgeschoss fehlt...
Und ich frage mich, wann ich es endlich selbst fertig bringe, sobald ich ein Reflex-ad ignorantiam höre ebenso reflexartig „Bullshit!“ zu denken und zu sagen...

Samstag, 16. Oktober 2010

Update: Nichts Neues

Nur um mal in Erinnerung zu rufen, was vor Monaten geschah: Ich schrieb einige Mails mit etwas kritischen Fragen an Personen aus dem Kreis der Esoterik-Branche. Hier und hier. Nachdem ich auf der Lebensfreude-Messe sogar mit einem Vertreter einer solchen Firma diesbezüglich sprach, bekam ich eine Mail, die eine ausführliche Antwort in einigen Tagen ankündigte. Kam noch immer nichts. Ich denke, es ist an der Zeit es als gegeben zu betrachten, dass keine Antworten auf diese Fragen existieren. Und dass die betreffenden Personen sich dessen wohl bewusst sein müssen.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Die Atheisten, der Papst und die Nazis

„Wir können uns daran erinnern, dass sogar zu unseren Lebzeiten Großbritannien und seine Führer gegen eine Nazi-Tyrannei  standen, die Gott aus der Gesellschaft ausmerzen wollte und unsere gemeinsame Menschenwürde vielen, vor allem den Juden, die man für nicht lebenswert hielt,  strittig machte. Ich erinnere mich auch an die Einstellung des Regimes gegenüber christlichen Pfarrern und religiösen Menschen, die in Liebe die Wahrheit verkündeten, den Nazis Widerstand leisteten und dies mit ihrem Leben bezahlten. Während wir die ernüchternden Lektionen, die uns der extreme Atheismus des 20. Jahrhunderts lehrt betrachten, lasst uns nicht vergessen, wie der Ausschluss von Gott, Religion und Moral aus dem öffentlichen Leben letztlich zu einem beschnittenen Menschenbild führt und damit zu einer reduzierenden Sicht auf die Person und ihr Schicksal.“
(Papst Benedikt XVI in England)

Neulich, an einem gemütlichen Abend auf unserer Analytikercouch, fragte mich die beste aller Mitbewohnerinnen, ob ich vom Besuch des Papstes in England gehört hätte. Ich hatte, und so erzählte ich ihr, dass sich Papa Ratzi mal wieder dahingehend äußerte, dass die Gottlosigkeit Schuld an all dem Unheil und Unrecht auf der Welt wäre, wie zum Beispiel am Nationalsozialismus. Dass dieser eine Folge des Atheismus wäre, und damit der Atheismus zumindest eine Voraussetzung für die nationalsozialistischen Untaten wäre.
Da ich ein großer Nuschler vor dem nichtexistierenden Herrn bin, kamen meine Worte wohl nicht ganz so deutlich rüber; denn die baM fragte gleich: „Meinst Du, dass der Papst...ein Nazi ist?“
So ganz absurd fühlte sich der Gedanke ja nicht an, betrachten wir die Frage doch mal näher.
Zunächst: Was ist Nationalsozialismus genau? Gibt es eine Definition, die vollständig ist? Ich denke nicht, denn glücklicherweise ist es eine doch eher seltene Angelegenheit, zumindest als dominante und regierende politische Bewegung. Es gibt zu wenige Einzelfälle, um eine Strenge Definition aufzubauen. Wer kann schon genau sagen, welche Elemente auf jeden Fall enthalten sein müssen, damit etwas als Nationalsozialismus gilt?
Ich benutze hier also ganz pragmatisch meine Vorstellungen, was dazugehört; und versuche, mich dabei allerdings auf solche Umstände zu beschränken, von denen ich glaube, dass mir eine überwiegende Mehrheit zustimmen wird.
Der Nationalsozialismus hat eine starre Hierarchie, mit einem charismatischen Führer an oberster Position, der seine Legitimation von einer imaginären höheren Gewalt bezieht (etwa der Vorsehung). Diese höhere Gewalt wird herangezogen, um Vorhersagungen über die Zukunft zu treffen. Um den Führer und um Gefolgsleute, die sich um die Bewegung verdient gemacht haben, wird ein enormer Personenkult betrieben. Ganz besonders, wenn diese im Dienste der Sache ihr Leben gaben.
Ein Buch, das offenbar nur von den fanatischten Anhängern je wirklich komplett gelesen wird, spielt eine große Propagandarolle; und uniformierte Anhänger führen Propagandaveranstaltungen mit viel feierlichen Brimborium durch, ohne dass vernünftige Argumente geboten werden. Stattdessen wird ein System nicht zu hinterfragender Dogmen hochgehalten.
Die Anhängerschaft ist groß, jedoch nicht besonders treu; sie neigt zum Mitläufertum, und ist nur so lange überzeugt, wie es ihr keine Nachteile einbringt.
Erzkonservative Werte werden hochgehalten; die Rolle der Frau ist weitgehend mit ihrer Mutterfunktion ausgefüllt, und Kinder zu bekommen ist notwendig, die Basis der Bewegung wird vergrößert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen in der nationalsozialistischen Hierarchie nur rangniedere Positionen einnehmen können. Und die Kinder müssen so früh wie möglich indoktriniert werden, teils durch speziell dafür gegründete Organisationen, teils durch rege Einflussnahme auf den Schulunterricht.
Letzteres geht Hand in Hand mit einer konsequenten Wissenschaftsfeindlichkeit. Wissenschaft ist auch deswegen ein Gegner, weil sie grundsätzlich Dogmen nicht zulässt. Stattdessen erfindet man Pseudowissenschaften, die mit vorgegebenem Ergebnis versuchen, die Dogmen zu stützen.
Ganze Bevölkerungsgruppen, die man klar definieren kann, werden zum Feind erklärt, dem man jede Schuld in die Schuhe schieben kann. Gerne werden Abweichungen von der statistischen Norm wie Homosexualität als widernatürlich erklärt, und damit für verdammenswert.
Der Nationalsozialismus ist Imperial, er versucht, sein Einflussgebiet immer auszudehnen. Wobei der Zweck die Mittel heiligt; jeder, der Zweifel äußert, als Gegner gilt, und in der nationalsozialistischen Weltanschauung der Mensch seine wahre Erfüllung nur als Mitglied der Bewegung finden kann.
Anders gesagt: Der Nationalsozialismus ist so ziemlich das genaue Gegenteil der atheistischen Bewegung. Diese ist ein desorganisierter Haufen ohne oberste Autorität, wissenschaftsfreundlich, Dogmen und höhere Mächte ablehnend, überdurchschnittlich feministisch und Homosexualität akzeptierend. Kinderindoktrination ablehnend, eher darauf vertrauend, dass eine gute Bildung einem Kind ermöglicht, sein eigenes Weltbild zu schaffen. Und so weiter und so fort...
Aber all die Eigenschaften, die ich hier beim Nationalsozialismus gefunden habe, finden sich auch in der katholischen Kirche.
Der unfehlbare Führer im Sinne der höheren Macht ist der Papst selber, die uniformierte Truppe der Klerus, der Frauen den Beitritt verweigert; die Verehrung der gefallenen Mitstreiter geschieht durch Selig- und Heiligsprechung, Homosexualität wird zur Sünde erklärt, die Wissenschaft seit Jahrhunderten nach dogmatischen Maßstäben kritisiert; Indoktrination von Kindern setzt geradezu unglaublich früh ein, sie werden getauft ob sie wollen oder nicht und damit in die Organisation aufgenommen, an der Schule gibt es katholischen Religionsunterricht, und die Menschen halten das für völlig normal. Das Grundlagenbuch, die Bibel, wird fast nur von den fanatischten Anhängern je komplett gelesen, die anderen kennen nur die vom Klerus sorgfältig ausgewählten Abschnitte. (Statistisch gesehen haben Atheisten bessere Bibelkenntnisse als katholische Laien; oft wurden sie dadurch zum Atheisten.) Die Lehre wird hochgehalten, aber voller Überzeugung nur dann verbreitet, solange man nichts riskiert: Wer liebt schon seine Feinde, hält die andere Wange hin, verschenkt all sein Hab und Gut an die Armen? Der Papst, der in einem geradezu obszönen Luxus lebt, bestimmt nicht. Und so weiter...
Also, wie ist es nun: Ist der Papst ein Nazi?
Nein, ich denke nicht daran, mich auf das Niveau des Papstes herabzubegeben und meine Gegner mit Nazis gleichzusetzen. So viele Parallelen es auch geben mag, ich kann nicht in der katholischen Kirche eine so offene Menschenverachtung finden, wie bei den Nazis. Wenn schon nichts anderes, so arbeitet die Kirche subtiler. Die Kreuzzüge sind lange her, heutzutage ist die beliebteste katholische Methode, möglichst viele Menschen ums Leben zu bringen, ihr Verbot von Kondomen, inklusive der Verbreitung der Fehlinformationen, dass diese nicht vor Aids schützen oder sogar diese Krankheit erst verursachen.
Was ich aber durch längeres Überdenken dieser Frage wohl eindeutig sagen kann ist: Voltaire stellte fest, solange Menschen an Absurditäten glauben, werden sie auch Greueltaten begehen. Ob die Absurdität nun darin besteht, zu glauben es gäbe so etwas wie eine germanische und eine jüdische Rasse oder es gäbe einen Schöpfer des Himmels und der Erde, das ist völlig egal. Absurde Dogmen verbunden mit rigidem Machtapparat ergeben eine großartige Rezeptur für Unterdrückung, Menschenverachtung und Bigotterie. Wenn Voltaire Recht hat, dann kann man dem Atheismus an sich keine Schuld für derlei Dinge geben, seine Anhänger definieren sich ja nur dadurch, dass sie eine bestimmte Absurdität ablehnen. Was nicht heißt, dass ein Atheist ein Unschuldsknabe sein muss, denn es gibt noch genug andere Absurditäten, an die man Glauben kann, außer Gott. Und wenn ein Atheist auf einem anderen Gebiet zum Menschenverachtenden Dogmatiker wird, dann hat das mit seinem Atheismus soviel zu tun, wie die Taten Hitlers, Stalins und Lenins damit, dass sie Bartträger waren.
Mir scheint es, als ob der Papst versucht, Atheisten dafür zu verurteilen, dass sie potentielle Nazis sind. Und abgesehen davon, dass es mir grundsätzlich nicht gerechtfertigt scheint, jemanden für eine Möglichkeit zu verurteilen, ja selbst für einen Vorsatz, solange dieser nicht in die Tat umgesetzt wurde, sehe ich wirklich keinen Grund, warum Atheisten mehr zum Nazitum neigen sollten als Katholiken oder Meerschweinchenzüchter. Vermutlich eher weniger, da sie dem blinden Gehorsam gegenüber skeptischer eingestellt sein dürften. Was genau die Eigenschaft ist, die von der Kirche nicht gerade gefördert wird, wenn sie verlangt, ziemlich abstruse (und faktisch widerlegte) Geschichten aus der Bibel als Tatsachenbericht anzuerkennen. Auf alle Fälle unterlässt es der Papst bei seiner Behauptung, sie zu begründen, was in Anbetracht derer Tragweite schon mal verdächtig manipulativ wirkt. (Im Übrigen hat die Kirche kein Problem damit, Verurteilungen aufgrund eines Potentials zu einer Tat zu treffen: Ein Dogma des katholischen Glaubens, die Erbsünde, läuft auf nichts anderes hinaus.)
Manchmal frage ich mich, ob der Klerus wirklich noch Bestandteil einer Religion ist, oder zu nichts anderem verkam, als einer gigantischen Public Relations-Maschinerie im eigenen Auftrag. Das würde zumindest erklären, warum er nichts besseres zu tun hat, als ständig allen anderen Schuld zuzuweisen und die eigene Schuld unter den Teppich zu kehren.
Was der Papst hier von sich gibt, ist nichts anderes als der „Wahre Schotte-Trugschluss“ :
„Kein Schotte gibt Zucker in seinen Haferbrei.“
„Aber mein Onkel Angus ist Schotte, und er gibt Zucker in seinen Haferbrei.“
„Ja, aber dein Onkel Angus ist kein wahrer Schotte.“
Er hält die Katholiken hoch, indem er jeden, der nicht seiner Wunschvorstellung entspricht, zum nicht wahren Katholiken erklärt. Und der Katholik Adolf („Ich glaube heute, dass ich im Sinne des allmächtigen Schöpfers wirke.“) Hitler bekommt die Rolle eines Atheisten verpasst. Was ist das für eine Art, den Begriff „katholisch“ zu definieren? Vor allem, wer sind denn die „wahren Katholiken“? Gibt es einen einzigen, den der Papst als solchen anerkennen würde, und dazu stünde, dass alles, was dieser in Zukunft täte, er als Katholik vollbrächte? Wenn nicht, dann ist der Begriff bedeutungslos, aber Bedeutungslosigkeit stellte für den Klerus noch nie ein Hindernis dar, also darf es mich nicht wundern. Vielleicht sollte man auch eine andere Frage über den Papst mal ernsthaft erläutern, die seit Jahrzehnten und einigen Päpsten als Scherz kursiert: Ist der Papst katholisch? Nach meiner Definition schon, aber ich glaube wirklich, dass er sich nach seinen eigenen Kriterien selber aussiebt.
Wenn also der Papst solche Reden schwingt, wie wir sie in letzter Zeit wieder von ihm zu hören bekamen, dann ist er entweder unehrlich oder sehr unbedacht. In beiden Fällen jemand, der es nicht verdient, ernst genommen zu werden, der Splitter im Auge der anderen, nicht den Balken im eigenen sieht. Und ich hoffe, dass die Welt eines Tages einsieht, wie demagogisch, unreflektiert und albern er und seine Mitstreiter sich aufführen, und wie viel besser es doch wäre, wenn man Menschen mit seit 2000 Jahren überlieferten Wahnvorstellungen genau so behandeln würde wie diejenigen, deren Wahn keinen historischen Hintergrund hat. Unsinn wird nicht zur Weisheit, indem er Jahrtausende reift.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Bruno Gröning: Noch etwas zu "post hoc ergo propter hoc"

Wie als Antwort auf meinen letzten Artikel flatterte mir ein Prospekt ins Haus, „Hilfe und Heilung auf geistigem Weg durch die Lehre Bruno Grönings“. Wieder so ein Wunderheiler!
Normalerweise lese ich mir solche Sachen durch, bis zu der ersten Stelle, an der es blödsinnig wird. Das geschah gleich unter der Überschrift: „-medizinisch beweisbar-“. Klingt harmlos, aber...wenn etwas medizinisch beweisbar wäre, könnte man das nicht nur dann wissen, wenn es  medizinisch bewiesen wäre, und sollte man dann nicht lieber das hinschreiben? Und, technisch gesehen, die Medizin ist eine Naturwissenschaft. Naturwissenschaften beschäftigen sich nicht mit Beweisen, das ist das Gebiet der Logik und der Mathematik. Die Naturwissenschaften sorgen für Belege. Großer Unterschied! Belege erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit einer Aussage, schaffen aber nie hundertprozentige Sicherheit. Davon lebt die Naturwissenschaft, dass bessere, genauere Belege die bisherigen Ansichten korrigieren. Vieles kann man sich zu 99,9999999999% sicher sein, aber da muss schon ein Mathematiker mit einem Beweis kommen, um auf 100% zu kommen. (Ich empfehle jedem, sich mal Euklids Beweis dafür, dass es unendlich viele Primzahlen gibt, anzusehen. Abgesehen vom Anblick eines geliebten Menschen kann ich mir nicht viel Schöneres vorstellen.)
Folglich kommen auch keine Beweise in diesem Heftchen. Aber „Eine Vielzahl ärztlich dokumentierter Erfolgsberichte belegt die aktuelle Wirksamkeit seiner Lehre.“ Es werden „Erfolgsberichte auf der Basis von wissenschaftlichen Untersuchungsbefunden (...) dokumentiert“. Ja und? Ich picke mir die Rosinen aus dem Kuchen und behaupte, der Kuchen besteht nur aus Rosinen.
Alles, aber auch alles scheint mit einer Wirkung verknüpfbar zu sein, wenn ich nur die Fälle betrachte, in der das fragliche Element und die besagte Wirkung auftritt. Was zählt ist, ob und wie viele Fälle es gibt, in denen bei gleicher Voraussetzung die Wirkung nicht eintrat, beziehungsweise die Wirkung ohne die Voraussetzung eintrat. „auf der Basis von wissenschaftlichen Untersuchungsbefunden“ heißt auch noch lange nicht das gleiche wie „wissenschaftlich“. Jedenfalls scheint mir diese Broschüre ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man immer und immer wieder versucht, vorzutäuschen, man könnte etwas wissenschaftlich belegen, indem man mit einem Zerrbild von Wissenschaft arbeitet, auf das viele abfahren, weil sie keine Vorstellung haben, was „Wissenschaft“ wirklich bedeutet.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Denkfehler: post hoc ergo propter hoc (danach, also deswegen)

Schon als Kind las ich in einem Donald Duck-Comic, Erika Fuchs sei Dank, etwa folgenden Satz: „Eine unbehandelte Grippe dauert 14 Tage, behandelt kann sie schon in zwei Wochen auskuriert werden.“
Stellen wir uns vor, vier Menschen haben eine stinknormale Allerweltserkältung.
Einer tut nichts dagegen, bald ist er wieder gesund.
Einer legt sich ins Bett, trinkt heiße Zitrone, inhaliert. Bald ist er wieder gesund.
Einer nimmt ein homöopathisches Präparat und benutzt Heilsteine. Bald ist er wieder gesund.
Einer opfert Cthulhu eine Jungfrau, Bald ist er wieder gesund.
Was werden sich die vier danach wohl denken? Der erste, er wurde gesund, obwohl er nichts tat. Die drei anderen: Sie wurden gesund durch das, was sie taten. Doch dieser Schluss ist nicht gerechtfertigt. Zwar ist es möglich, dass ihr Verhalten zu ihrer Genesung beitrug, aber noch lange nicht belegt und schon gar nicht bewiesen. Oder denkt derjenige, der homöopathische Präparate nahm, etwa, dass Cthulhu bei Erkältungen hilft? Wohl eher nicht, dabei hätte er dazu exakt den gleichen Grund, wie er ihm für seinen Glauben an die Macht der Homöopathie zur Verfügung steht. So gesehen dürfte er dann auch nicht an die Homöopathie glauben.
Eine Wirkung, die nach einer möglichen Ursache auftritt, ist noch lange nicht eine Wirkung dieser Ursache. Um das zu überprüfen ist es vielmehr wichtig zu sehen, ob die Wirkung ausbleibt, wenn man die vermutete Ursache eliminiert. Falls ja, so muss es eine andere Ursache geben.
Aber selbst das reicht keineswegs immer; ich denke da an so schöne Statistiken wie diejenige, dass Kinder mit größeren Füßen besser rechnen können. Es stimmt, betrachtet man Kinder, die kleinere Füße haben, so rechnen sie im Schnitt wirklich nicht so gut. Größere Füße und höhere Rechenfähigkeit sind bei Kindern eindeutig verknüpft. Aber können Kinder besser rechnen, weil sie größere Füße haben? Da könnte man ebenso vermuten, dass die Rechenfähigkeit die Füße wachsen lässt. Beides klingt wenig glaubwürdig. Niemand würde mir eine der beiden Hypothesen abnehmen, weil er nicht sähe, wie eine solche Wirkung zustande kommen sollte.
Um einen Bezug zwischen Ursache und Wirkung herzustellen benötigt man idealerweise auch einen Mechanismus, der ihn erklärt. Viele Beispiele, dass ein Effekt eintritt, besagen nichts. Zusätzlich der Beleg, dass der Effekt ohne die angenommene Bedingung nicht eintritt, das ist schon viel besser. Aber oft bleibt offen, was von beiden Ursache bzw. Wirkung ist, oder auch ob beides Auswirkungen einer gemeinsamen Ursache sind. So wie das Alter von Kindern sich sowohl in ihrer Schuhgröße als auch in ihren mathematischen Fähigkeiten bemerkbar macht.
Kommen wir noch mal auf unsren erkälteten Homöopathiegläubigen zurück, einfach weil Homöopathie so weit verbreitet, so anerkannt bei vielen medizinischen Laien und so besonders idiotisch ist. Dieser Mensch sieht seine Heilung als Folge der Einnahme eines homöopathischen Präparates; und er weiß, dass Tausende und Abertausende Menschen dies ähnlich erlebten und interpretierten. Wie gesagt, das belegt noch gar nichts. Er fragt sich nicht: „Woher weiß ich, was passiert wäre, hätte ich die Behandlung unterlassen?“
Immer, wenn diese Frage ernsthaft untersucht wurde, zeigte es sich, dass Homöopathie keinen Einfluss auf Krankheitsverläufe hat. Da Homöopathen und ihre Kundschaft aber an eine Wirkung glauben wollen, versuchen sie, einen Mechanismus als Beleg anzuführen. Das heißt, sie versuchen zu erklären, wie etwas geschieht, ohne zeigen zu können, dass es geschieht. Als ob man sich mit der Frage auseinandersetzt, wie es der Osterhase fertig bringt, ohne Daumen all die Eier anzumalen; und dann, wenn man eine Erklärung gefunden hat, zu glauben, sie beweise die Existenz des Osterhasen.