Samstag, 30. Oktober 2010

Denkfehler: Die Eulenspiegelei

Ich habe keine Ahnung, ob es eine offizielle Bezeichnung hierfür gibt; ich nenne es den Eulenspiegel-Fehler, weil es etwas mit dem übertrieben wörtlich Nehmen von Aussagen zu tun hat, was ja zu den Standart-Praktiken des alten Till zählte. Man legt Aussagen so eng wie möglich aus, weit enger, als sie jemals gemeint sein können.
Gehen wir von einer Situation aus, in der Regeln existieren. Regeln, wie Gesetze, sind im Allgemeinen so formuliert, dass sie auf eine Vielzahl von Einzelfällen anzuwenden sind, inklusive solcher, die noch nie eingetreten sind, oder die noch nicht einmal erahnt werden können. Das ist auch nötig, denn ansonsten würde die nötige Anzahl von Regeln ins Unermessliche und erstrecht ins völlig Unübersichtliche steigen. Was tut nun ein „Eulenspiegel“? Er kümmert sich nicht um die Regel an sich, kennt sie nicht, kapiert sie nicht oder akzeptiert sie nicht. Wird ihm in einem Einzelfall klar gemacht, was sie hier besagt (meist weil er gerade dagegen verstieß), so gibt er klein bei und schwört, sich nie wieder zu verhalten wie eben; nur um bei nächster Gelegenheit die Regel erneut zu missachten, da angeblich nicht klar war, dass sie auch in diesem, minimal anders gelagerten Fall gilt.
„Ja, Mami, Du hast gesagt, dass ich anderen Kindern nicht gegen das Schienbein treten soll. Hab ich auch nicht getan. Du hast mir nicht verboten, ihnen in die Eier zu treten...!“
Genau so infantil ist das. Was nicht heißt, dass man entsprechendes nicht auch von Erwachsenen zu hören bekommt...ich korrigiere: von Volljährigen. Wer so argumentiert, kann nach keiner sinnvollen Definition als erwachsen gelten, sei er 18, 21, oder 74 Jahre alt.
Und wer so etwas nicht nur sagt, sondern tatsächlich glaubt...da weiß ich nicht weiter. Gibt es so jemanden? Ich kann mir vorstellen, dass das Universum 13,7 Milliarden Jahre alt ist, dass sich die Kontinente unmerklich langsam verschieben, dass es die wahre Liebe gibt; aber so weit reicht meine Phantasie dann doch nicht. Ich denke vielmehr, dass dies auch wieder so ein reines Ausredeargument ist, das von denjenigen, die es verwenden, überhaupt nicht durchdacht wird. Man setzt sich über Regeln hinweg, weil man Lust dazu hat, nicht weil man etwas auf Lager hat, das einen ausreichenden Grund darstellt. Man kennt die Regel, missachtet sie bewusst, und wenn man erwischt wird, benötigt man eine Spitzfindigkeit, eine eigene Auslegung der Regel, die einem selbst das Gefühl gibt, im Recht zu sein, kein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Der Mensch an sich ist nicht gut. Nicht von Natur aus. Warum sollte er auch? Die Natur kennt kein Gut und Böse, nur Erfolg und Misserfolg. Und zum Erfolg zählt ein positives Selbstbild, es bewahrt vor psychischen Belastungen und sorgt für sichereres Auftreten. Es ist nützlich, sich selbst als „einen von den Guten“ zu sehen; und um in den Genuss dieser Einstellung zu kommen, gehen manche den direkten Weg und verhalten sich gut, werden gut. Anderen reicht es aus, so lange an dem Begriff „gut“ herumzudefinieren, bis er maßgeschneidert auf sie zutrifft...zumindest in ihren eigenen Augen. Und dafür sind diese Eulenspiegeleien Mittel zum Zweck: Ich bin gut, weil ich mich an die Regeln halte. An meine Auslegung der Regeln.
All das kann ich nicht belegen; aber mir gibt zu denken, dass ich in meinem Leben schon einer ganzen Reihe von Menschen mit ausgeprägten soziopathischen Zügen begegnet bin (im Volksmund „Arschlöcher“ genannt), aber unter ihnen nie auf einen stieß, der auf mich auch nur annähernd den Eindruck machte, er würde sich nicht für einen von den „Guten“ halten.
Ein ernüchternder Gedanke: Wenn man es nicht merkt, dass man zu diesen Menschen gehört, wie kann sich jemand sicher sein, es nicht zu tun?
Durch Logik: Ich muss nur kühl, sachlich und rational betrachten, was ich tue und wie es zu werten ist. Vor allem eben unabhängig davon, dass ich es bin, der bewertet wird. Ich muss Gedanken, Schlüssen und Zusammenhängen dorthin folgen, wo sie mich hinführen, ohne eine feste Vorstellung, wie das Ergebnis auszusehen hat. Ohne mir vorher ein Ergebnis auszumalen und nur die gedanklichen Schritte zuzulassen, die in diese Richtung gehen.
Ich sagte eben „nur...“; damit wollte ich sagen, es ist nicht schwer, einzusehen, welchen Weg man beschreiten sollte. Ihn zu gehen ist ein ganz schön hartes Stück Arbeit. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, dauert es auch noch ziemlich lang. Ein paar Jahre, ein Leben lang, manchmal reicht auch das nicht aus. Es gibt keine Garantie, ans Ziel zu kommen. Gute Reise!

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